erzlich Willkommen liebe Freunde der Schutz- und Leittechnik! In unserer neuen dreiteiligen Fachbeitrags-Serie widmen wir uns ganz intensiv und ausführlich dem Thema Erdschlussschutz. Erdschlussschutzsysteme gehören vielleicht nicht zu den kompliziertesten Schutzfunktionen, aber in der Praxis kommt es doch immer wieder zu Problemen. Gerade beim Nachweis der korrekten Richtungsentscheidung gibt es viele mögliche Fehlerquellen. Dieser und die beiden folgenden Beiträge geben einfache Tipps, wie Fehler beim Prüfen der Erdschlussrichtungserfassung vermieden werden können.
In unserem heutigen ersten Teil stellen wir Euch die Grundlagen zur Erfassung der Messwerte und die daraus resultierenden Schutzmethoden vor.
Teil 1: Grundlagen der Messwerterfassung
Erdschlüsse treten in Isolierten, oder kompensierten Netzen auf. Aufgrund der hohen Sternpunktimpedanz kommt es hier bei einpoligen Leiter-Erde-Fehlern nicht zu einem wirksam fließenden Kurzschluss sondern zu einem Erdschluss. Der dabei fließende Fehlerstrom ist in der Regel aber sehr viel geringer als der eines Kurzschlusses. Zum Vergleich hier die Größenordnung unterschiedlicher Zustände:
🌐 Kurzschlussstrom: Im Bereich kA
🌐 Laststrom: Im Bereich 100 A
🌐 Erdschlussstrom: Im Bereich 10 A
Das bedeutet also bei einem Kurzschluss findet man den Fehlerort durch den immens hohen Fehlerstrom recht einfach. Bei einem Erdschluss liegt der Fehlerstrom aber meist noch weit unter dem Laststrom. Dadurch ist der Fehlerort wesentlich schwerer zu ermitteln.
Die Spannungen verhalten sich hier allerdings anders. Die Leiter-Erde-Spannung der fehlerbehafteten Phase wird nahezu Null, die Leiter-Leiter-Spannungen bleiben jedoch unverändert. Dadurch wird die Leiter-Erde-Spannung der fehlerfreien Phasen um den Faktor Wurzel 3 erhöht (siehe nachstehende Abbildung).
Gleichzeitig verursacht dies auch eine Verlagerungsspannung zwischen dem Sternpunkt des speisenden Transformators und der Erde. Somit kann man also anhand der Spannungen leicht erkennen, dass im Netz ein Erdschluss vorliegt. Wo sich dieser Fehler aber befindet, ist aufgrund des geringen Erdschlussstromes aber nur schwer zu sehen.
Die Aufgabe des Erdschlussschutzes ist also, die Richtung des Erdschlusses an der jeweiligen Messstelle korrekt anzuzeigen und zu melden. Dafür werden in Deutschland zwei Verfahren besonders häufig eingesetzt: Das "Erdschlusswischerverfahren" und das "wattmetrische Verfahren". Um diese genauer voneinander zu unterscheiden, muss man zuerst die Strom- und Spannungsverläufe bei einem Erdschluss betrachten.
Durch den Fehlereintritt geht das Netz von einem Zustand in einen anderen über. Dieser Zustandswechsel verursacht einen Einschwingvorgang, welcher hochfrequente Ströme und Spannungen mit teils hohen Amplituden zur Folge hat. Nachdem dieses Einschwingen abgeklungen ist, befindet sich das Netz im Zustand des stationären Erdschlusses, bei dem Fehlerströme und Spannungen mit Betriebsfrequenz gemessen werden können.
Erdschlusswischerverfahren nutzen den Einschwingvorgang zum Ermitteln der Fehlerrichtung anhand der Strom- und Spannungsverläufe zu Beginn des Erdschlusses. Wattmetrische Verfahren können diese Hochfrequenten Vorgänge jedoch nicht verarbeiten und nutzen stattdessen die stationären Strom- und Spannungswerte.
Um eine Prüfung durchführen zu können, muss man natürlich auch wissen, welche Ströme und Spannungen gemessen werden. Bei den Strömen gibt es hier drei Möglichkeiten:
- Messen der drei Phasenströme. Hier wird der Erdfehlerstrom aus der Summe der drei Ströme rechentechnisch ermittelt.
- Holmgreenschaltung: Hier werden die drei Phasenströme nach der jeweiligen Messung zusammengeschaltet und nochmals auf einen Messeingang gegeben.
- Kabelumbauwandler: Hier wird ein zusätzlicher Wandler verbaut, der alle drei Phasen umschließt. Dadurch wird nur die Summe aller drei Phasen gemessen und es kann mit einem geringeren Übersetzungsverhältnis gearbeitet werden. Das erhöht die Messgenauigkeit. Wichtig für eine korrekte Messung ist aber auch das Zurückführen der Erdung des Kabelschirmes durch den Umbauwandler.
Auch für die Spannungsmessung gibt es unterschiedliche Möglichkeiten:
- Messung der drei Leiter-Erde-Spannungen: Hier wird die Verlagerungsspannung rechnerisch aus den drei Leiter-Erde-Spannungen ermittelt.
- Messen an der offenen Dreieckswicklung: Hier wird die Verlagerungsspannung direkt messtechnisch ermittelt. In der Regel ist diese bei einem Erdschluss um den Faktor Wurzel 3 höher als die Leiter-Erde-Spannung im Fehlerfreien Netz.
- Beides zusammen: Einige Schutzgeräte verwenden sowohl die Leiter-Erde-Spannungen der Phasen, als auch die Spannung der offenen Dreieckswicklung für ihre Erdschlussschutzfunktion.
Da die Messverfahren häufig einphasig sind, erhöht sich die Gefahr für Fehler stark. Das einfache Vertauschen von zwei Anschlüssen führt zu einer Phasendrehung von 180° und dadurch zu einem Richtungsentscheid in die falsche Richtung. Daher sollte bei der Inbetriebnahme ein besonderes Augenmerk auf die Polaritätsprüfung aller Wandleranschlüsse gelegt werden. Dies kann entweder durch den klassischen "Batterietest", oder durch den Polarity Checker von OMICRON sichergestellt werden. Ebenfalls immer wieder eine gern vergessene Prüfung: Die Wickelsinnprüfung des Wandlers.
Damit endet der erste Teil über die Grundlagen des Erdschlusses und die Messung der Ströme und Spannungen. In unserem Teil 2 geht es dann mit der Prüfung von Erdschlusswischerrelais weiter.
In unserem Training "Sternpunktbehandlung und Erdfehlerschutz" erhältst Du fundierte Kenntnisse über die theoretischen Grundlagen, die elementaren Besonderheiten sowie das erforderliche Werkzeug zur fachgerechten Auslegung von Erdschlussschutzsystemen. Zudem wird die praktische Inbetriebsetzung von Erdschlussschutzsystemen intensiv trainiert. Besuche unsere Academy, wir freuen uns auf Dich!
HERZliche Grüsse Alexander Muth
Sicherheitshinweis:
Nichtbeachtung der folgenden Hinweise kann Tod, Körperverletzung oder erheblichen Sachschaden zur Folge haben!
Bei allen auf schutztechnik.com beschriebenen Prüfungen können gefährliche Spannungen auftreten. Die Sicherheitsregeln und Sicherheitsvorschriften für elektrische Anlagen sind bedingungslos einzuhalten. Für Arbeiten an der Primäranlage muss sich der Generator immer im Stillstand befinden und es sind geeignete Erdungs- und Kurzschließmaßnahmen an den jeweiligen Arbeitsstellen vorzusehen. Im Rahmen einer Primärprüfung an einem Turbosatz ist darauf zu achten, dass es zu keiner Überhitzung der Turbine kommt.
Die beschriebenen Arbeiten dürfen nur durch qualifiziertes Personal durchgeführt werden. Dieses muss gründlich mit den einschlägigen Sicherheitsvorschriften und Sicherheitsmaßnahmen sowie den Warnhinweisen aus den Handbüchern der Lieferanten der verwendeten Komponenten vertraut sein. Die hier beschriebenen Inhalte stellen keine Arbeitsanweisungen dar. Sie müssen in jedem einzelnen Punkt hinsichtlich der Sicherheitsregeln und Sicherheitsvorschriften durchdacht werden.