Mar 16, 2021
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Leitungsdifferentialschutz: Migration der Wirkschnittstelle von SDH- zu MPLS-Netzwerken

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ERZlich Willkommen liebe Freunde der Schutz-, Leit- und Elektrotechnik. In unserem neuen Gastbeitrag hat Dr. Andreas Aichhorn der Sprecher Automation GmbH das Wort. Dabei geht es um neue Konzepte zur Anpassung von Wirkschnittstellen-Verbindungen an die Eigenschaften Ethernet-basierter Netzwerke. Los geht's!

1. Einleitung

Mit dem stetig wachsenden Bedarf an Bandbreite steigen auch die technischen und wirtschaftlichen Anforderungen an Kommunikationsnetze bzw. die damit verbundenen Herausforderungen. Bereits heute, vor allem aber in Zukunft werden in erster Linie paketorientierte Kommunikationsnetzwerke wie bspw. MPLS eingesetzt. Zeitgleich sind auch noch synchron getaktete Kommunikationsnetze, sog. SDH-Netze, in Verwendung. Diese Netze gelten als Legacy Systeme mit einem großteils bereits definierten Ablaufdatum. Sie funktionieren nach dem Prinzip des Zeitmultiplexverfahrens und wurden/werden zunehmend durch paketvermittelnde Systeme ersetzt. Die Änderung des Übertragungsmechanismus bringt auch eine Änderung der Übertragungseigenschaften mit sich. Für eine einwandfreie Migration ist es erforderlich, die Endgeräte auf die Eigenschaften der Netzwerktechnik anzupassen, um eine möglichst zuverlässige Kommunikation zu realisieren.

Diese Umstellung trifft vor allem die Wirkschnittstelle (WS) des Leitungsdifferentialschutzes, da hier bis dato ein funktionsbestimmendes deterministisches Zeitverhalten des Kommunikationsnetzwerkes vorausgesetzt wurde. Dieser Determinismus ist bei Ethernet-basierten Netzwerken nicht gegeben, wodurch eine Anpassung des Gesamtkonzeptes erforderlich ist.

Dieser Artikel beschreibt die Anforderung des Leitungsdifferentialschutzes an die Kommunikation für die Wirkschnittstelle sowie die Mechanismen der Kommunikationstechnik und deren Weiterentwicklung. Für den speziellen Fall der Wirkschnittstelle beim Leitungsdifferentialschutz werden die Charakteristiken eines Migrationskonzepts mit Legacy Interfaces näher beleuchtet. Zusammenfassend wird ein Konzept für die Verwendung der Kommunikationstechnologie gemäß Stand der Technik vorgestellt, mit dem eine zuverlässige Wirkschnittstellen-Verbindung über Ethernet-basierte Kommunikation hergestellt werden kann.

2. Anforderung der Wirkschnittstelle an die Kommunikation

Die Wirkschnittstelle dient zur Übertragung von Daten, die für das Auslösekriterium des Schutzrelais erforderlich und daher von hoher Relevanz sind. Beim Distanzschutz können das binäre Signale sein, wohingegen beim Leitungsdifferentialschutz Messwerte ausgetauscht werden, um fortlaufend eine Stromsumme und somit den aktuellen Fehlerstrom im System berechnen zu können. Aus diesem Grund sind die Anforderungen an die Kommunikation beim Leitungsdifferentialschutz deutlich strikter als beim Distanzschutz. Daher wird in weiterer Folge die Anforderung des Leitungsdifferentialschutzes an die Wirkschnittstelle als Referenz herangezogen.

Bei diesem Schutzprinzip werden bei jedem Gerät die Strommesswerte erfasst und an die Gegenstelle übertragen. Diese Strommesswerte müssen so übertragen werden, dass diese an der Gegenstelle dem ursprünglichen Zeitpunkt korrekt zugeordnet werden können. Wenn die zeitliche Zuordnung der Messwerte an der Gegenstelle nicht korrekt erfolgt, kommt es zu einem verfälschten Ergebnis des berechneten Fehlerstromes und dadurch gegebenenfalls zu einer falschen Reaktion des Schutzrelais. Für die zeitlich korrekte Zuordnung der Messwerte an der jeweiligen Gegenstelle werden unterschiedliche Konzepte verwendet. In der Vergangenheit waren synchrone, deterministische Kommunikationssysteme weit verbreitet, deren Eigenschaften für die Übertragung und in weiterer Folge für die korrekte Zuordnung der Messwerte an der Gegenstelle vorteilhaft sind (beispielsweise SDH-Netze).

Wenn ein paketvermittelndes Netzwerk (Ethernet) anstatt eines synchronen, getakteten Netzwerkes (SDH) verwendet wird, muss das Konzept der Wirkschnittstelle an die geänderten Übertragungseigenschaften angepasst werden, um eine korrekte und präzise Zuordnung der Messwerte und dadurch eine korrekte Berechnung des Summenstromes gewährleisten zu können.

3. Kommunikationstechnologien

Wie im vorangegangenen Kapitel bereits erwähnt, ist eine präzise, zuverlässige und möglichst schnelle Übertragung der Messwerte eine Voraussetzung für die Verwendung der Kommunikation für die WS. Eine präzise Übertragung der Messwerte erreicht man entweder durch Verwendung eines synchron getakteten Netzwerks mit deterministischen Übertragungseigenschaften oder durch ein angepasstes Gesamtkonzept wenn eine nicht deterministische Kommunikation verwendet wird.

Die hier angesprochenen Kommunikationsnetzwerke sind sogenannte WAN (Wide Area Networks), also Weitbereichsnetzwerke, und finden Anwendung in räumlich ausgedehnten Computernetzen. Im Gegensatz dazu werden lokale Netzwerke als LAN (Local Area Network) bezeichnet. Derartige Netze sind räumlich begrenzt und werden zumeist nur innerhalb eines Gebäudes errichtet. Diese Definition bedeutet bezogen auf die Domäne der Schutz- und Leittechnik, dass die Kommunikation innerhalb eines Umspannwerkes als LAN bezeichnet wird, z.B. für den IEC 61850-Stationsbus. Hingegen findet bei der Wirkschnittstelle, die eine Verbindung zwischen örtlich getrennten Stationen bzw. Umspannwerken herstellt, die Kommunikation über ein WAN statt.

Je nach Übertragungsmechanismus werden die zumeist eingesetzten Kommunikationstechnologien im WAN-Bereich eingeteilt in Time Division Multiplexing-Technologie (TDM) und Packet Switched Networks (PSN). Synchrone Netzwerke, wie bspw. SDH, funktionieren gemäß TDM-Technologie. MPLS-Netzwerke (Multi Protocol Label Switching) bzw. Ethernet-basierte Netzwerke sind paketvermittelnde Netzwerke, die als Packet Switched Networks (PSN) bezeichnet werden.

3.1 TDM-basierte Kommunikationsnetzwerke

Time Division Multiplexing (TDM) ist ein Übertragungsmechanismus, bei dem jedes teilnehmende Gerät zu einem bestimmten Zeitpunkt (zugewiesener Zeit-Slot) eine definierte Menge an Daten übermitteln kann. Das bedeutet, dass jedem Gerät ein konstanter Wert an Bandbreite zugewiesen ist (unabhängig davon, ob die reservierte Bandbreite genutzt wird oder nicht). Abbildung 1 zeigt schematisch den Übertragungsmechanismus von TDM. Netzwerke mit einem derartigen Übertragungsmechanismus sind als SDH (Synchronous Digital Hierarchy)- bzw. PDH (Plesiochronous Digital Hierarchy)-Netzwerke bekannt.

Übertragungsmechanismus bei TDM
Abbildung 1: Übertragungsmechanismus bei TDM

In diesen Netzwerken werden Daten zyklisch (mit gleichem Zeitabstand) und deterministisch übertragen. Dies ist der ausschlaggebende Vorteil für den Einsatz von bspw. SDH für die Wirkschnittstelle. Wesentlicher Nachteil dieser Technologie ist, dass die Bandbreite nicht effizient genutzt werden kann, da sehr viele Dienste/Services nicht in einem festen Takt Daten senden, sondern lediglich auf Anfrage. Dadurch werden viele Zeit-Slots nicht genutzt und die Effektivität sinkt.

Die Verwendung eines TDM-basierten Kommunikationssystems für die Übermittlung von Messwerten hat den wesentlichen Vorteil, dass diese immer zu einem fixen Zeitpunkt gesendet bzw. empfangen werden, sodass das Timing des Netzwerks auch als Zeitinformation des Messwertes verwendet werden kann. Die Realisierung der Zeitsynchronisierung und die Kompensation der Signallaufzeit sind implementierungsabhängig. Der deterministische Übertragungsmechanismus des TDM-basierten Netzwerkes stellt allerdings eine gute Grundlage für die Übertragung zeitkritischer Daten dar.

3.2 PSN-basierte Kommunikationsnetzwerke

Ein paketvermittelndes Netzwerk (PSN) übermittelt Daten in Form von Paketen (wie bspw. bei Ethernet). Die Größe jedes Pakets ist variabel (innerhalb festgelegter Limits). Jedes teilnehmende Gerät kann zu beliebigen Zeitpunkten Pakete versenden. Netzwerkgeräte (wie Switches bzw. Router) leiten diese Pakete zur angegebenen Destination weiter. Wenn mehrere Pakete zeitgleich bei einem Netzwerkgerät eintreffen, werden diese Pakete in einem Speicher abgelegt und prinzipiell nach dem First Come First Served-Prinzip bearbeitet. Jedes Gerät sendet Daten nach Bedarf, wodurch die Auslastung nicht vorhersehbar schwankt. Dies ist der grundlegende Mechanismus der Paketvermittlung in einem PSN. Abbildung 2 illustriert diesen Übertragungsmechanismus. Ein Beispiel für eine Kommunikationsnetzwerktechnologie, die auf PSN basiert, ist MPLS.

Übertragungsmechanismus bei PSN
Abbildung 2: Übertragungsmechanismus bei PSN

Dieser Übertragungsmechanismus ermöglicht eine bandbreiteneffiziente Übertragung von Daten, da lediglich nur übertragene Pakete zur Auslastung des Netzwerks gezählt werden und nicht ein fix reservierter Bereich jedes teilnehmenden Geräts (wie bei TDM-Technologie). Allerdings bringt der Mechanismus der Paketvermittlung den wesentlichen Nachteil mit sich, dass eine Laufzeitschwankung (auch als Jitter bezeichnet) auftritt. Dieser Jitter ist von der aktuellen Auslastung des Netzwerkes abhängig. Für eine optimierte Übertragung von Paketen ist eine Priorisierung möglich, sofern die Netzwerkgeräte diesen Service unterstützen, jedoch tritt dennoch eine gewisse Abhängigkeit der Signallaufzeit von der Menge an übertragenen Daten auf. Ausgetauschte Pakete unterliegen also einer von der Auslastung abhängigen Laufzeitschwankung.

Dadurch ist mit einer für SDH-Netzwerke konzeptionierten Wirkschnittstelle eine Kommunikation über Ethernet-basierte Netze nicht empfehlenswert.

3.3 Zeitliche Entwicklung der verwendeten Kommunikationstechnologien

Der Ursprung TDM-basierter Netzwerke, wie bspw. SDH, liegt ca. 100 Jahre zurück. Harry Nyquist hat sich um 1920 mit Telegrafiegeschwindigkeiten beschäftigt. 1933 ermittelte er die erforderliche Abtastrate für die Übertragung analoger Sprachmuster. Er ermittelte eine Rate von 8.000 Samples je Sekunde, um Sprache zu digitalisieren (vgl. [1]). Auf dieser Basis wurde ein Übertragungsverfahren entwickelt, bei dem 8 Bits je Zeitschlitz übertragen werden, woraus sich die heute noch bekannte Datenrate von 64 kbit/s pro Kanal ergibt. Diese ist in den Standards als Bandbreite je Zeit-Slot definiert, bspw. im Standard ITU-T G.704 und auch im Interface-Standard für Schutzanwendungen IEEE C37.94.

Durch den vielfältigen Einsatz des SDH-Netzwerkes (Telefonie, PC-Netzwerke, Wirkschnittstellenverbindung, …) kam es zu einem stetigen Anstieg der erforderlichen Bandbreite und demnach zu einem Ausbau der Systeme. Der Maximalumsatz von SDH-basierten Systemen wurde im Jahr 2000 verzeichnet, wie im White Paper von S. Perron [2] beschrieben. Danach gingen der Umsatz und somit auch der Ausbau zurück. Durch die bereits im LAN-Bereich etablierte Ethernet-basierte Technologie wurden paketvermittelnde Systeme mit bandbreiteneffizienter Datenübertragung für den Einsatz im WAN-Bereich weiterentwickelt. Die Ethernet-basierte Übertragung löste somit die SDH-Technologie sukzessive ab, um den stetig steigenden Erfordernissen des Marktes vor allem in punkto Bandbreite nachzukommen. Der Mechanismus der Paketvermittlung (PSN) ist ein wirtschaftliches und flexibles System, mit dem diverse Services realisiert werden können und das eine bandbreitenoptimierte Übertragung ermöglicht. Im WAN-Bereich haben sich hier MPLS-Systeme etabliert.

Die Migration von SDH zu paketorientierten, optischen Kommunikationssystemen setzte ab ca. 2005 ein (vgl. [2]). Dadurch reduzierte sich die Anzahl der verfügbaren SDH-Netzwerke. Dennoch wurden die Konzepte der Wirkschnittstelle bei den meisten am Markt verfügbaren Schutzgeräten nicht an die Kommunikationseigenschaften der mittlerweile vorherrschenden paketorientierten Netzwerke angepasst. Der Einsatz einer WS, die für SDH-Netzwerke entwickelt wurde, ist über ein paketvermittelndes Netzwerk nur mit zusätzlichen Services realisierbar.

4 Verwendung von Ethernet-basierten Netzwerken für die Wirkschnittstelle

Im folgenden Abschnitt (4.1) werden Migrationsszenarien von SDH zu Ethernet-basierten Systemen erläutert, wofür die Eigenschaften eines SDH-Netzwerkes über ein Ethernet-Netzwerk emuliert werden. In weiterer Folge wird in Abschnitt 4.2 ein Konzept beschrieben, welches eine native Verwendung von Ethernet für die Wirkschnittstelle ermöglicht.

4.1. Migration von SDH Legacy Interfaces

Da vor allem im Bereich der Schutztechnik die Frage nach Legacy Interfaces für die Umstellung auf Ethernet-basierte Netzwerke sehr groß war, wurden Services  entwickelt, welche die Eigenschaften von SDH-Verbindungen im Ethernet-basierten Netzwerk nachbilden (sogenannte Pseudowire Connections). Das Ergebnis sind unterschiedliche Implementierungen für derartige Pseudowire Connections, bspw. SAToP (Service Aggregation over Packet) oder CESoPSN (Circuit Emulation Service over Packet Switched Networks).

SDH-Interface unter Verwendung einer Pseudowire Connection
Abbildung 3: Kommunikation zweier Schutzgeräte mit einem SDH-Interface unter Verwendung einer Pseudowire Connection

In Abbildung 3 ist der prinzipielle Mechanismus einer Pseudowire Connection dargestellt. Es sind Schutzgeräte mit einer SDH-Schnittstelle (hier beispielhaft gem. C37.94) dargestellt, die an ein MPLS-Netzwerk angeschlossen werden, welches die Pseudowire Connection zwischen den Endgeräten aufbaut. Im oberen Teil der Abbildung ist die Topologie dargestellt und im unteren Bereich ist der Mechanismus für die Übertragung von TDM-basierten Daten über ein PSN dargetellt. Zur einfacheren Nachvollziehbarkeit des Mechanismus wurde der Datenstrom in nur einer Richtung, von Schutzgerät 1 zu Schutzgerät 2, dargestellt. In der Praxis ist der Datenstrom in beide Richtungen realisierbar. Bei dem jeweiligen Gerät, das Daten aussendet, werden diese zuerst paketiert und anschließend über das Netzwerk übertragen. An der Gegenstelle befindet sich ein Jitter Buffer, der – vereinfacht beschrieben – die übertragenen Pakete für die Zeit des maximal möglichen Jitters zurückhält. Erst nach Ablauf der vorgegebenen Zeit werden die Daten freigegeben und in synchrone, getaktete Daten an das Endgerät weitergeleitet. Mit diesem Mechanismus erreicht man eine deterministische Übertragung, die allerdings eine erhöhte Signallaufzeit bzw. eine erhöhte Bandbreite erfordert. Diverse Veröffentlichungen zu diesem Thema beschreiben Evaluierungen von Pseudowire Connections über ein MPLS-Netzwerk für die Wirkschnittstelle beim Leitungsdifferentialschutz. Ergebnisse aus einer Veröffentlichung von S. Blair [3] zeigen den Trade-off zwischen erhöhter Signallaufzeit und Bandbreite sehr deutlich. Beim verwendeten Setup wurde bei möglichst optimierter Bandbreite von 2,32 Mbit/s eine Signallaufzeit von 4,11 ms gemessen. Mit optimierter Laufzeit ergab sich ein Wert von 2,79 ms bei einer erforderlichen Bandbreite von 8,26 Mbit/s. Bei diesem Setup wurde ein E1 Frame übertragen, der per Definition eine Größe von 2.048 kbit/s aufweist (die maximal nutzbare Netto-Datenmenge beim verwendeten Protokoll des Schutzgerätes C37.94 liegt bei 768 kbit/s). Die Signallaufzeit würde als Vergleich dazu bei nativer Nutzung des MPLS-Netzwerks in der Größenordnung von 50 µs liegen. (In der Praxis hängt die tatsächlich aufgetretene Signallaufzeit von der Ausdehnung des Netzwerkes ab.) Dieses Beispiel veranschaulicht, welchen Kompromiss man für diese Migration eines SDH-Interfaces über paketorientierte Netzwerke wie bspw. MPLS eingehen muss.

Die Nachbildung der Eigenschaften eines SDH-Netzes über ein paketorientiertes System ist für einen Migrationsprozess und einen Übergangszeitraum sicherlich sinnvoll. Dennoch sollten Neuentwicklungen von Endgeräten eine native Nutzung von Ethernet im Gesamtkonzept des Datenaustauschs berücksichtigen, um eine möglichst effiziente Gesamtlösung zu erhalten. Die Pseudowire Connections stellen gut funktionierende Lösungen dar, die innerhalb der Spezifikation funktionieren, jedoch sollte man sich bei dieser Anwendung im Klaren sein, dass dieser Service teuer erkauft werden muss. Für die Realisierung muss entweder eine erhöhte Signallaufzeit oder eine deutlich erhöhte Bandbreite in Kauf genommen werden.

Aus diesen Erkenntnissen ist deutlich ersichtlich, dass eine Pseudowire Connection für einen Migrationsprozess durchaus möglich, aber auch nur für eine Migration sinnvoll ist. Die Bereitstellung von 8 Mbit/s für jede Wirkschnittstelle wird auch zukünftig nicht wirtschaftlich vertretbar sein. Diese Lösung ist also kein Konzept, wie man in Zukunft mit Wirkschnittstellen verfahren könnte. Vielmehr gilt es, die Endgeräte (Schutzgeräte) an die Charakteristiken von Ethernet anzupassen.

4.2. Anpassung des Gesamtkonzeptes für eine effiziente Nutzung von Ethernet

Bei der Wirkschnittstelle, vor allem beim Leitungsdifferentialschutz, hat das zeitliche Übertragungsverhalten der Daten einen Einfluss auf die Funktion beim Schutzgerät weshalb entsprechende Maßnahmen getroffen werden müssen um diesen Einfluss zu kompensieren. Bei Ethernet tritt, wie bereits in Abschnitt 3.2 diskutiert, ein Jitter bei der Übertragung von Daten auf. Viele aktuelle Implementierungen der Wirkschnittstelle am Schutzgerät übertragen lediglich den Messwert und setzen ein exaktes Zeitverhalten des Kommunikationsnetzwerkes voraus. Daher wäre eine direkte Übertragung der Messwerte über Ethernet-basierte Kommunikationsnetze ohne zusätzliche Maßnahmen nicht möglich.

Daher muss das Konzept dahingehend angepasst werden, dass mit jedem übermittelten Messwert auch ein Zeitstempel oder Counter-Wert mit übertragen wird. Dadurch kann der Messwert beim empfangenden Gerät dem ursprünglichen Zeitpunkt exakt zugeordnet werden wodurch der Fehlerstrom im System demnach korrekt berechnet werden kann. Abbildung 4 veranschaulicht die zeitliche Zuordnung der erfassten Messwerte auf den Enden des Leitungsdifferentialschutzes. Beispielhaft ist ein Stromwert von i = 50 A zu einem Zeitpunkt t = 8 ms hervorgehoben und es wird auch dargestellt, dass der Stromwert und der zugehörige Zeitpunkt an das entfernte Gerät übertragen werden.

MPLS-Netzwerk Leitungsdifferentialschutz
Abbildung 4: Konzept eines Leitungsdifferentialschutzes über ein MPLS-Netzwerk(Austausch Messwerte + Zeitinformation)

Die für dieses Verfahren erforderliche präzise Zeitsynchronisierung kompensiert den Jitter, der bei der Übertragung über das paketorientierte Netzwerk auftritt, sodass dieser das Berechnungsergebnis des Fehlerstromes nicht beeinflusst. Durch diese Kompensation können die Messwerte ohne zusätzliche Services über paketorientierte Netzwerke übertragen werden. Bei Prozessbusanlagen (gem. IEC 61850-9-2) wird ein derartiges Konzept bereits erfolgreich umgesetzt. Im Unterschied zum Prozessbus kommuniziert der Leitungsdifferentialschutz mit dem Endgerät / den Endgeräten außerhalb des Umspannwerks. Dadurch wird für die Übertragung der Messwerte beim Leitungsdifferentialschutz das WAN und nicht das LAN verwendet. Bei einer Prozessbusanlage wird sehr häufig PTP (Precision Time Protocol gem. IEEE 1588) eingesetzt, was innerhalb eines LANs einfacher zu bewerkstelligen ist als über ein WAN, in dem jedes Netzwerkgerät das PTP-Protokoll unterstützen muss.

Bekannte Methoden für die Bereitstellung einer präzisen Zeitsynchronisierung sind beispielsweise das bereits erwähnte PTP-Protokoll, die Verwendung von GNSS (Global Navigation Satellite System) oder proprietäre Mechanismen zur relativen Zeitsynchronisierung der Geräte untereinander. Bei Verwendung von PTP muss jedes betreffende Netzwerkgerät den Service unterstützen, um die spezifizierte Genauigkeit zu erreichen. GNSS setzen Empfang bzw. eine Sichtverbindung zu den Satelliten voraus, um eine ausreichende Genauigkeit zu erzielen.

Der Leitungsdifferentialschutz von Sprecher Automation, SPRECON-E-P DL6, unterstützt die direkte Verwendung eines Ethernet-Netzwerkes für die Wirkschnittstelle: Das MPLS-Netzwerk wird direkt angeschlossen, ohne einen zusätzlichen Service bzw. eine Pseudowire Connection zu benötigen. Die Zeitsynchronisierung wird mit Hilfe eines von Sprecher Automation patentierten Verfahrens realisiert, das den Kommunikationskanal für die Synchronisierung verwendet. Dieses Verfahren vermisst in regelmäßigen Abständen die Charakteristiken der Kommunikationsleitung. Auf Basis dieser Kenntnis wird fortlaufend eine präzise Zeitsynchronisierung durchgeführt. Die Zielvorgabe für die Genauigkeit lag gem. der Designrichtline IEC 61850-90-1 bei 10 µs. Die in der Praxis maximal aufgetretene Abweichung mit diesem Algorithmus hat einen Wert von 5 µs nicht überschritten. Das Verfahren funktioniert iterativ und passt sich somit schnell an geänderte Kommunikationskanäle an, bspw. im Zuge einer Umschaltung der Route in einem Netzwerk.

5. Fazit/Ausblick

Aus technischen und wirtschaftlichen Gründen war und ist es erforderlich, die SDH-Netze durch Ethernet-basierte Systeme zu ersetzen – unter anderem, um der stetig steigenden Anforderung an Bandbreite nachzukommen. Die von den Kommunikationsgeräten bereitgestellten Pseudowire Connections können mit den in Kauf genommenen Charakteristiken (Bandbreite und Signallaufzeit) für die Migration bestehender Systeme über Ethernet-basierte Kommunikationssysteme verwendet werden. Für eine effiziente Dauerlösung müssen die Konzepte der Wirkschnittstellen-Verbindung an die Eigenschaften der Ethernet-basierten Netzwerke angepasst werden.

Referenzen

[1] Black Box Network Services, Online: https://www.black-box.de/de-de/page/24571/Information/Technische-Ressourcen/black-box-erklaert/wan/einfuehrung-in-g703/ , Stand 02.2021

[2] S. Perron, „SDH Network Modernization With Multiservice OTN“, White Paper in Heavy Reading, 12.2016

[3] S. Blair et al., „Application of MPLS-TP for Transporting Power System Protection Data”, IEEE International Conference on Smart Grid Communications, 2016

Author: Dr. Andreas Aichhorn, Sprecher Automation GmbH

HERZliche Grüsse

Euer SCHUTZTECHNIK-TEAM

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