ERZlich Willkommen liebe Freunde, der Schutz-, Leit- und Elektrotechnik. Wie groß ist der kapazitive Erdstrom von Freileitungen? Alles dazu in unserem neuen Beitrag, viel Spaß beim Lesen oder Sehen und HERZliche Grüsse,
Euer SCHUTZTECHNIK-TEAM
(Lesebeitrag unterm Video)
Worum gehts?
Die Höhe des kapazitiven Erdschlussstroms ist ausschlaggebend, für die eingeprägte Energie in der Fehlerstelle eines Erdschlusses. Wird ein isoliertes Netz und damit der kapazitive Erdschlussstrom zu groß, muss entweder kompensiert oder auch die Netzform gewechselt werden. Um den Erdstrom mit Löschspulen kompensieren zu können, müssen wir in der Lage sein, für die Auslegung der Spule die Größe des Erdstroms zuvor abzuschätzen. Ferner sind Erdschutzprüfungen, welche den systembasierten Ansatz verfolgen, ebenfalls nur unter Kenntnis der Netzkapazität durchführbar, welche zwingend im Netzmodell hinterlegt werden muss.
Nun, wie wir den kapazitiven Erdstrom berechnen, hatten wir bereits in unseren Beiträgen „Der kapazitive Erdschlussstrom | Quick & Dirty“ vom 26. Oktober 2020 und „Kapazitive Nullströme richtig berechnen“ vom 20. Juni 2022 beschrieben. Um solche Berechnungsergebnisse schnell verifizieren zu können und um spontan eine systembasierte Schutzprüfung durchzuführen, ist es immer gut, wenn wir eine überschlägige Faustformel zur Hand haben. Dadurch sind wir in der Lage, aus dem Stand einfache Abschätzungen treffen zu können. Genau eine solche Faustformel zeigen wir Euch heute.
Was ist bekannt?
Im ersten Schritt ist es immer gut, sich an die Dinge zu erinnern, die wir bereits kennen. Aus vielen unserer vorangegangenen Beiträge wissen wir, dass ein typisches dreipoliges Mittelspannungskabel oder ein dreiphasiges Mittelspannungskabelsystem in etwa 3 Ampere je Kilometer kapazitiven Erdstrom mit sich bringt. Wie groß dieser kapazitive Strom im konkreten Fall wird, hängt primär vom eingesetzten Kabeltyp und von der Spannungsebene ab. In der abgebildeten Tabelle sehen wir die typischen Bereiche von Kabelnetzen.
Ein 6 kV System liefert einen Strom von 0,5 bis 2,5 Ampere je Kilometer. In der 10 kV-Ebene können wir, je nach Bauart des eingesetzten Kabeltyps, mit Strömen zwischen 0,5 und 9 A rechnen. Kabelsysteme in der 20 kV-Ebene liegen hier mit 1,5 bis 8 A relativ nah mit dran und in der 30 kV sind es in etwa 2 bis 7 Ampere. Um den Faktor 2 bis 3 größere Werte erhalten wir dann bei 110 kV Kabelsystemen. Die rechte Spalte der Tabelle ist nun die wichtigste. Bei diesen Werten handelt es sich nicht um das arithmetische Mittel, sondern um den Durchschnittswert, der am häufigsten eingesetzten Kabeltypen. Diese Ströme sind es Wert gemerkt zu werden, um immer eine Vorstellung über die typischen Erdstromverhältnisse eines Kabelnetzes zu haben. Es ist eine gute Sache zu wissen, dass ein 6 kV-Kabel häufig einen kapazitiven Erdstrom von 1 A je Kilometer beisteuert. Im 10 kV-Netz sind es 2,5 A je Kilometer, im 20 kV-Netz 3 Ampere je Kilometer, im 30 kV-Netz 3,5 Ampere je Kilometer und im 110 kV-Netz in etwa 10 Ampere je Kilometer. Klar können die Ströme hier in den genannten Min-Max-Bereichen schwanken, aber man hat mit dem Daumenwert immer einen ersten Anhaltspunkt.
Die Freileitung
Mit diesem Wissen kommen wir jetzt zu unseren Freileitungen. Zunächst stellt sich die Frage: Ist der kapazitive Erdstrom in Freileitungsnetzen größer oder kleiner als in Kabelnetzen? Wenn Du davon ausgehst, dass der größere Abstand zwischen Leiter und Erde einer Freileitung zu kleineren Leiter-Erde-Kapazitäten und dementsprechend auch zu kleineren kapazitiven Erdströmen führt, dann liegst Du 100 % richtig. Der kapazitive Erdstrom von Freileitungsnetzen ist wesentlich geringer als der von Kabelnetzen.
Daraus leitet sich nun die Frage ab, in welcher Größenordnung sich die Ströme der Freileitungen von denen der Kabelnetze unterscheiden. Wir erweitern unsere Tabelle um vier zusätzliche Positionen und zeigen jetzt die typischen Werte für Freileitungen in Abhängigkeit von der Spannungsebene.
Ein 20 kV-Freileitungssystem schiebt in etwa 0,07 bis 0,1 Ampere kapazitiven Erdstrom je Kilometer in die Fehlerstelle. Unser Daumenwert von 0,1 A je Kilometer entspricht damit dem Dreißigstel des Daumenwertes eines 20 kV-Kabelnetzes.
Schauen wir uns Freileitungen in der 110 kV-Ebene an. Hier liegen übliche Werte zwischen 0,2 und 0,4 Ampere. Unser Daumenwert von 0,33 Ampere entspricht wiederum einem Dreißigstel des 110 kV Kabelpendants.
Damit haben wir für die kapazitiven Erdströme von 20 kV- und 110 kV-Freileitungsnetzen einen schönen Zusammenhang gefunden. In beiden Fällen sind die Ströme in etwa um den Faktor 30 kleiner als in den Kabelnetzen derselben Spannungsebenen. Das lässt sich relativ einfach merken und in Freileitungsnetzen der 400 kV werden die Ströme noch einmal um den Faktor 4 größer als in 110 kV-Freileitungsnetzen.
Zusammenfassung
Fassen wir das Besprochene noch einmal als kleine Faustformel zusammen. Kabelsysteme haben häufig die folgenden kapazitiven Erdströme: 6 kV 1 Ampere je Kilometer, 10 kV 2,5 Ampere je Kilometer, 20 kV 3 Ampere je Kilometer, 30 kV 3,5 Ampere je Kilometer und 110 kV 10 Ampere je Kilometer. Damit liegen wir in der Mittelspannung in etwa bei 3 A und in der Hochspannung bei 10 Ampere.
Die kapazitiven Erdströme von Freileitungssystemen sind in etwa um den Faktor 30 kleiner als die von Kabelsystemen der gleichen Spannungsebene. Die 400 kV-Freileitung liefert Ströme, welche um den Faktor 4 größer sind, als die der 110 kV-Freileitung.
Wir hoffen, dass Ihr Euch diese einfachen Zusammenhänge so gut einprägen könnt und wünschen Euch viel Erfolg auf Eurem weiteren beruflichen Weg.
HERZliche Grüsse,
Euer SCHUTZTECHNIK-TEAM