erzlich Willkommen liebe Freunde der Schutz- und Leittechnik! In unserer dreiteiligen Fachbeitrags-Serie widmen wir uns ganz intensiv und ausführlich dem Thema Erdschlussschutz. Erdschlussschutzsysteme gehören vielleicht nicht zu den kompliziertesten Schutzfunktionen, aber in der Praxis kommt es doch immer wieder zu Problemen. Gerade beim Nachweis der korrekten Richtungsentscheidung gibt es viele mögliche Fehlerquellen. Die Beiträge geben einfache Tipps, wie Fehler beim Prüfen der Erdschlussrichtungserfassung vermieden werden können.
In unserem heutigen dritten und letzten Teil stellen wir Euch die gängigen Methoden zur Prüfung von Wattmetrischen Erdschlussrelais vor.
Teil 3: Prüfung von Wattmetrischen Erdschlussschutzrelais
Wattmetrische Erdschlussschutzsysteme erfassen die Richtung des Erdschlusses anhand der eingeschwungenen Strom- und Spannungssignale während des Erdschlusses. Hierbei wird der Winkel zwischen der gemessenen Verlagerungsspannung und dem gemessenen Summenstrom genutzt, um einen Richtungsentscheid durchzuführen. Die messtechnische Schwierigkeit liegt hier in der Regel an dem geringen Dauererdschlussstrom (teilweise unter 10 A Primär), welcher vom Laststrom überlagert werden kann. Aus diesem Grund wird für diese Methode auch meist ein Kabelumbauwandler eingesetzt. Dieser erfasst den Summenstrom, wodurch sich die symmetrischen Lastströme zu Null addieren. Damit können Kabelumbauwandler mit viel kleineren Übersetzungsverhältnissen als die der Phasenstromwandler genutzt werden. Häufig sind dies 100 A, 60 A, 50 A oder 40 A zu 1 A. Dadurch wird dieses Messverfahren aber auch sehr anfällig bei Asymmetrien in den Lastströmen. Aus diesem Grund wird es in der Regel nicht in vermaschten Netzen eingesetzt. Daher beschränken sich die folgenden Ausführungen auch auf ein Strahlennetz mit einer Einspeisung. Die Erdschlussrichtung wird an den Abgangsfeldern des Umspannwerkes ermittelt.
Um das Verhalten eines wattmetrischen Erdschlussschutzrelais beurteilen zu können, ist es wichtig, das Zeigerbild während eines Erdschlusses zu kennen. Wie in dieser Reihe schon beschrieben, verläuft ein vollverlagerter Erdschluss wie folgt: Die Leiter-Erde-Spannung der fehlerbehafteten Phase bricht auf nahezu 0 V zusammen. Die Leiter-Leiter-Spannungen bleiben unverändert. Somit werden die Leiter-Erde-Spannungen auf das Wurzel(3)-fache des üblichen Wertes angehoben und der Winkel dieser Spannungen erhöht sich auf -150° bzw. +150° (statt -120° bzw. +120°). Dieses Verhalten erzeugt auch eine Verlagerungsspannung zwischen dem Sternpunkt und Erde. Diese hat einen Winkel von 180° und entspricht dem Betrag der Leiter-Erde-Spannung im fehlerfreien Betrieb (Achtung: Die Aussage zum Betrag gilt nur für die Primärspannungen).
Der Erdschlussstrom in den fehlerfreien Abzweigen wird durch die Kapazitäten der nicht-fehlerbehafteten Phasen verursacht. Diese erzeugen Ströme, die ihren treibenden Spannungen um je 90° voreilen. Die Summe dieser Phasenströme eilt der Verlagerungsspannung um 90° vor. In unserem Zeigerbild entspricht das einem Winkel von -90°.
Die Ströme im fehlerbehafteten Abgang hängen davon ab, ob das Netz isoliert oder kompensiert betrieben wird. Bei einem isolierten Netz ist die Stromrichtung gegenüber dem fehlerfreien Abzweig um 180° gedreht. Bei einem kompensierten Netz besitzt der Strom in der Regel einen nennenswerten ohmschen Anteil (zwischen +90° und -90°). Meist werden kompensierte Netze überkompensiert betrieben. Der Winkel des Erdschlussstromes liegt dann in der Regel im Bereich von -10° bis -80°.
Die Charakteristiken, die die für die Richtungsbestimmung genutzt werden, unterscheiden sich also je nachdem, ob das Netz isoliert oder kompensiert betrieben wird. Bei isolierten Netzen wird der Blindanteil des Stromes genutzt (Sinus-Phi-Schaltung) und bei kompensierten Netzen wird der Wirkanteil verwendet (Cosinus-Phi-Schaltung).
Um die Richtung mittels einer Sekundäreinspeisung zu prüfen, bietet es sich an, immer die gleichen Werte zu nutzen. Dabei wird hier folgendes vorausgesetzt: Die sekundäre Nennspannung der Spannungswandler liegt bei 100 V / Wurzel(3). Die Verlagerungsspannung wird über eine offene Dreieckswicklung gemessen, deren Bemessungsspannung mit 100 V / 3 angegeben ist. (Beispiel: 20.000 V / Wurzel(3) zu 100 V / Wurzel(3) zu 100 V / 3). Außerdem liegt der Stromansprechwert unterhalb 500 mA (sekundär). Mit diesen Grundannahmen kann eine einfache Prüfung aufgebaut werden. Die Spannungswerte, sowie der Betrag des Stromes bleiben hierbei immer gleich. Nur der Winkel des Stromes wird je nach Prüfschuss variiert. Angaben der Spannung: UL1E = 0 V @ 0°, UL2E = 100 V @ -150°, UL3E = 100 V @ 150° und UE = 100 V @ 180°. Der Betrag von IE wird hier auf 500 mA gesetzt.
Für ein isoliertes Netz erhält man dann Vorwärts, wenn IE einen Winkel von +90° hat und Rückwärts, wenn IE einen Winkel von -90° hat. Bei einem kompensierten Netz erhält man Vorwärts, wenn IE einen Winkel von 0° hat bzw. Rückwärts, wenn IE einen Winkel von 180° hat.
Um die Ansprechwerte für UE und IE zu ermitteln kann diese Faustregel natürlich auch angewendet werden. Bei IE wird der Winkel einfach auf Vorwärts eingestellt und der Betrag des Stromes dann von 0 A an schrittweise erhöht. Bei UE ist es etwas komplizierter. Am einfachsten geht es, wenn man symmetrische Komponenten verwendet. Dazu einfach U1 auf 57,73 V @ 0° und U0 auf 0 V und 180° stellen. Der Winkel von UE bleibt unverändert. Dann kann man gleichzeitig U0 von 0 bis 57,73 V und UE von 0 bis 100 V schrittweise erhöhen. Die meisten Prüfmodule von OMICRON sind auch in der Lage die Spannung UE automatisch zu berechnen. Damit muss man sich um eine Größe weniger kümmern.
Die bisher beschriebene Prüfmethode deckt jedoch nur die Sekundäreinspeisung mit ab. Sie ist nicht in der Lage, Verdrahtungsfehler zwischen dem Kabelumbauwandler und dem Schutzgerät zu erkennen. Vertauschte Adern fallen hier meist nicht sofort auf. Im Fehlerfall kann dies zu unplausiblen Richtungsanzeigen führen, was die Fehlerortung erheblich erschwert. Um auch solche Fehler zu entdecken, bietet es sich an, direkt auf der Primärseite in den Kabelumbauwandler einzuspeisen. Da hier meist keine großen Ströme notwendig sind, reicht eine Sekundärprüfeinrichtung voll und ganz aus. Falls doch etwas mehr Strom benötigt wird, muss man nur die Prüfstrippe mehrfach durch den Umbauwandler durchzuziehen. Anschließend speist man von der Sammelschiene in Richtung Abgang ein. Die oben beschriebenen Winkelbeziehungen bleiben hierbei gleich.
Wenn man sich gar keine Gedanken um die Winkelbeziehungen machen möchte, kann man auch zu einer Netzwerksimulation greifen. Wie bereits in Teil 2 beschrieben, werden hier die Netzwerkparameter eingegeben und damit die Größen im Erdschlussfall automatisch berechnet. Anders als bei Erdschlusswischern kommt es hier jedoch nicht auf den Einschwingvorgang, sondern auf den Dauererdschlussstrom an. Das Prüfmodul Erdschlussschutz von OMICRON ermöglicht eine solche Simulation in der oben beschriebenen Netzwerkkonfiguration (Eine Einspeisung, sonst nur Abgangsfelder an der Sammelschiene). Mit OMICRONs RelaySimTest kann die Topologie des Netzwerkes auch komplett frei definiert werden. Somit kann für jedes Netz überprüft werden, ob der Erdschlussschutz korrekt konfiguriert ist.
Übrigens: Um bei simulationsbasierten Erdschlussprüfungen zu vernünftigen Aussagen zu kommen, müssen meist nicht die gesamten Netzwerkparameter bekannt sein. Die voreingestellten Defaultwerte reichen in der Regel voll und ganz.
Zusammenfassung
Zusammenfassend kann man sagen, dass eine Sekundärprüfung von wattmetrischen Erdschlussschutzgeräten mit einfachen Mitteln möglich ist. Eine primäre Speisung des Kabelumbauwandlers sollte dabei priorisiert werden, da hier auch Verdrahtungsfehler mit erkannt werden. Außerdem können simulationsbasierte Ansätze genutzt werden, um die Größen für Spannungen und Ströme nicht manuell berechnen zu müssen.
Die hier beschriebenen Methoden beziehen sich auf Soft- und Hardware der Firma Omicron, da wir bevorzugt mit diesen Tools arbeiten. Andere Lösungen können hier ebenfalls zu guten Ergebnissen führen.
Damit endet auch der Dritte und letzte Teil unserer Reihe zum Thema Erdschlussschutz. Ihr habt Fragen oder Anregungen: info@schutztechnik.com
Hier geht es zum ersten Teil und zum zweiten Teil der Beitragsserie.
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HERZliche Grüsse Alexander Muth
Sicherheitshinweis:
Nichtbeachtung der folgenden Hinweise kann Tod, Körperverletzung oder erheblichen Sachschaden zur Folge haben!
Bei allen auf schutztechnik.com beschriebenen Prüfungen können gefährliche Spannungen auftreten. Die Sicherheitsregeln und Sicherheitsvorschriften für elektrische Anlagen sind bedingungslos einzuhalten. Für Arbeiten an der Primäranlage muss sich der Generator immer im Stillstand befinden und es sind geeignete Erdungs- und Kurzschließmaßnahmen an den jeweiligen Arbeitsstellen vorzusehen. Im Rahmen einer Primärprüfung an einem Turbosatz ist darauf zu achten, dass es zu keiner Überhitzung der Turbine kommt.
Die beschriebenen Arbeiten dürfen nur durch qualifiziertes Personal durchgeführt werden. Dieses muss gründlich mit den einschlägigen Sicherheitsvorschriften und Sicherheitsmaßnahmen sowie den Warnhinweisen aus den Handbüchern der Lieferanten der verwendeten Komponenten vertraut sein. Die hier beschriebenen Inhalte stellen keine Arbeitsanweisungen dar. Sie müssen in jedem einzelnen Punkt hinsichtlich der Sicherheitsregeln und Sicherheitsvorschriften durchdacht werden.